Projekt Beschreibung

WÄSCHELEINE

Versteckt hinter der Parteifalte öffnet sich ein Ort, der sich dem schnellen Blick ent- zieht – ein Zwischenraum, abgeschirmt vom Lärm der Stadt und zugleich offen für neue Formen des Zusammenlebens. Er trägt Spuren des Alltäglichen in sich – von Bewegung und Stillstand, von Begegnung und Rückzug. Diese Qualitäten führten zu der Idee, ihn als einen Raum zu denken, der wie eine Wäscheleine zwischen Privatem und Öffentlichem schwingt – ein filigranes Band, das Menschen, Gewohnheiten und Nachbarschaften miteinander verbindet.

Im Verlauf unserer Auseinandersetzung mit dem Ort wurde deutlich, dass das Pla- nungsgebiet hinter der Parteifalte zwar nicht im klassischen Sinne als Hinterhof zu bezeichnen ist, aber dennoch gewisse Qualitäten solcher Räume andeutet. Die Diffe- renz zwischen dem lauten Straßenraum und der ruhigen Rückseite macht das Areal besonders und bietet die Grundlage für eine Neuinterpretation des Hofgedankens im städtischen Kontext von Chemnitz. In diesem ist der Hof Teil einer größeren Struktur. Nordwestlich schließt eine offene Hofstruktur an, die durch Zeilenbauten gegliedert wird und in den Brühl übergeht. Der Brühl wie auch der östlich anschließende Son- nenberg und der westlich gelegene Kaßberg sind durch gründerzeitliche Blockrand- bebauung mit klar gefassten Innenhöfen geprägt. Das Entwurfsareal liegt dabei zwi- schen dem Schillerplatz im Norden und dem Stadthallenpark im Süden – zwei öffent- lichen Grünanlagen, zwischen denen es als vermittelnder Zwischenraum wirkt. Gleichzeitig wird der Hof durch ein informelles Wegenetz mit den umliegenden Quar- tieren verbunden. Vom Stadtzentrum über die Parteifalte bis hin zu den Höfen des Brühls spannt sich eine alternative Route zur Mühlenstraße auf. Dieses Hofband er- möglicht nicht nur Durchwegung, sondern auch die Verbindung städtischer Institutio- nen – von der Stadthalle über das Opernhaus bis zur Kunstsammlung. Innerhalb die- ser Netzwerke entfaltet das Entwurfsareal seine spezifische Qualität: als Raum des Dazwischen, der weder Platz noch Park ist, sondern ein Möglichkeitsraum.

Im Zusammenspiel mit dem städtischen Umfeld entstand das Leitmotiv der Wäsche- leine, das als alltägliches und vertrautes Element vieler Höfe eine neue Bedeutung als räumliche und konzeptionelle Klammer erhält.
Dabei interpretieren wir die Wäscheleine nicht primär als Trägerin von Textilien, son- dern als strukturbildendes, verbindendes Element sie – zieht sich als feine, span- nungsvolle Linie durch den Hof, verknüpft Räume, erzeugt Übergänge, Sichtachsen und Begegnungsmomente. Das Geflecht aus unterschiedlich gespannten Leinen ver- steht sich als Netz aus Beziehungen – zwischen Orten, Menschen und Bewegungen. So entstehen Wege, Schwellen, Verdichtungen und Öffnungen. Gleichzeitig tragen die Leinen auch eine narrative Ebene in sich. Das Aufhängen von Wäsche ist eine alltägliche Geste, bei der Privates für einen Moment sichtbar wird. Doch nicht das Objekt steht im Zentrum, sondern das Prinzip dahinter: Offenheit, Aneignung, tempo- räre Nutzung. Wie die Wäscheleine steht auch der Hof für flexible Zugänglichkeit, für spontane wie geplante Begegnung – ein Ort, der niedrigschwellig genutzt werden kann, ob als Garten, Gestaltungsort, Spielfläche, Werkstatt oder Rückzugsort

.
In Anlehnung an die Atmosphäre klassischer Hinterhöfe entstehen durch die Leinen gestaffelte Zwischenräume, deren Transparenz und Durchlässigkeit sich durch Dich- te, Anordnung und Materialität steuern lässt. Es entstehen intime, geschützte Teilräu-

me ebenso wie offene Zonen mit Sichtbeziehungen und Bewegungsfreiheit. Die räumliche Organisation fördert dabei eine Vielfalt von Nutzungen – Rückzug und Spiel, Arbeit und Pause, gemeinschaftliche wie individuelle Aktivitäten. Gleichzeitig entsteht durch das Leitelement eine grafische Präsenz im Raum, die eine subtile Len- kung und Orientierung ermöglicht. Die Gestaltung bleibt bewusst leicht: keine massi- ven Einbauten, sondern mobile, flexible Strukturen, ergänzt durch Vegetation und punktuelle Ausstattung. Das Entwurfsareal versteht sich als offenes Gefüge aus Teil- höfen mit eigenem Charakter. Die bestehende Topografie und das Bestandsgebäude auf dem Gelände werden dabei in die Gestaltung integriert – Höhenunterschiede und bauliche Kanten helfen, unterschiedliche Nutzungsbereiche auszubilden.

Die Höfe des Hofgefüges verfügen über individuelle Charaktere, die sich baulich, aber auch in unterschiedlichen Materialitäten zeigen: Im Ruhehof wird durch üppige Vegetation und Sitznischen eine intime Atmosphäre geschaffen. Ein Büchertauschre- gal und eine Liegewiese ergänzen die Funktionen des Hofs. Durch den Umbau des Werkstattgebäudes im Werkstatthof soll ein Repaircafé mit öffentlichen Toiletten eta- bliert werden, das sich bis auf die Freiflächen vor den ehemaligen Garagenöffnungen des Gebäudes erweitert. Im Spielhof entstehen neben Spielgeräten wie einer Kletter- spinne auch Aktivflächen, etwa ein Spielfeld und ein Bereich mit Sportgeräten. Der Gartenhof zeichnet sich durch einen Kräutergarten, gemeinschaftlich bewirtschaftete Beete und einen Grillplatz aus. Der vordere Abschnitt des Zusammenhofs lässt sich durch eine flexible Ausstellungsfläche und ein Kiosk charakterisieren. Angeschlossen an den Kiosk befindet sich ein Schuppen für die Lagerung verstellbarer Sitzbänke. Der hintere Bereich bietet Platz für Veranstaltungen wie Konzerte oder Flohmärkte. Die Bäume der mobilen Allee können dafür an die Seite oder vom Hof gefahren wer- den.

Die einzelnen Höfe werden durch ein leitendes Element voneinander abgegrenzt, aber auch miteinander verbunden. Das Element greift die Idee der Wäscheleine auf und ermöglicht neue Durchgänge. Es besteht aus Rohren und Verbindungsstücken, die reversibel zusammengefügt werden können. Die Rohre und das Gerüst symboli- sieren die Streben der Wäscheleine, die Verbindungsstücke die Klammern. Wie bei einer echten Wäscheleine können an den Rohren Elemente aufgehängt und wieder abgenommen werden.

In den verschiedenen Höfen wird die Multifunktionalität des Elements sichtbar:
Im Gartenhof dienen die Leitungen als Wasseranschluss,
im Werkstatthof und Zusammenhof können Sonnensegel befestigt werden,
im Zusammenhof werden Ausstellungselemente angebracht – sie machen wie die Wäscheleine ungesehene Arbeit sichtbar. Die offene Struktur der Leitungen kann für verschiedene Ausstellungen und Formate neu angeordnet und flexibel ergänzt oder reduziert werden.

Im Spielhof werden die Rohre in Spielgeräte integriert.
An den Eingängen des Hofgefüges schließlich werden die Rohre zu großen Toren zu- sammengesetzt, die einen klaren Übergang erzeugen.

Die Wäscheleine wird dabei zum Sinnbild dieses Entwurfs – sie spannt sich durch die Höfe, verknüpft Räume, Menschen und Ideen zu einem offenen Netz der Stadt.