Frei Otto – einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts
Kein anderer Architekt hat dem Bauen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so viele Anregungen und Impulse gegeben wie Frei Otto (1925 – 2015), im Mai 1925 in Siegmar – einem heutigen Stadtteil von Chemnitz – geboren.
Frei Otto war ein deutscher Architekt, Architekturtheoretiker und Hochschullehrer. Seine Arbeiten im Leichtbau mit Seilnetzen, Gitterschalen und anderen zugbeanspruchten Konstruktionen machten ihn zu einem der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Er zählt neben Richard Buckminster Fuller und Santiago Calatrava zu den wichtigsten Vertretern einer biomorphen (organischen) Architektur.
Sein Vorname Frei geht auf seine Mutter zurück, da der Name ihrem Lebensmotto entsprach. Frei Otto wuchs in einem kreativen Umfeld auf. Sein Vater war Bildhauer und Steinmetz und beide Eltern Mitglieder im „Deutschen Werkbund“. 1907 gegründet, war der „Deutsche Werkbund“ eine Vereinigung von Architekten, Künstlern, Kunsthandwerkern und Unternehmern, die der Einförmigkeit von Massenprodukten bereits zur damaligen Zeit mit handwerklicher Kultur und Designkonzepten eine neue Richtung geben wollten. Schon als Junge begeisterte sich Frei Otto für das Segelfliegen und den Modellbau. Auf sein späteres Werk sollte diese Begeisterung großen Einfluss nehmen.
1943 begann Frei Otto an der Technischen Hochschule in Berlin sein Architekturstudium, welches er erst nach Kriegsende und französischer Gefangenschaft 1948 wieder aufnahm und 1952 abschließen konnte. Als Stipendiat seiner Fakultät ausgewählt, reiste Frei Otto 1950 für ein halbes Jahr in die USA. Dort inspirierten ihn Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe und dessen Architekturmaxime „Weniger ist mehr“, Erich Mendelsohn, Richard Neutra, Frank Lloyd Wright und weitere Architekten dieser Zeit. Mit Ludwig Mies van der Rohe verband ihn nach dieser Studienreise eine Freundschaft. 1952 gründete Frei Otto in Berlin-Zehlendorf sein eigenes Architekturbüro.
Olympiadach in München und mehr
Mit der Dissertation „Das hängende Dach“ wurde die Universität in Stuttgart auf Frei Otto aufmerksam. 1955 erregte Frei Otto erstmals großes Aufsehen bei der Fachwelt mit drei Membrankonstruktionen für die Bundesgartenschau in Kassel. Zum Meilenstein der Architekturgeschichte wurde 1967 der Bau des Deutschen Pavillons auf der Expo in Montreal. 1964 gründete Frei Otto in Stuttgart das Institut für leichte Flächentragwerke IL und den Sonderforschungsbereich SFB 64. Der Deutsche Pavillon in Montreal 1967 und das Olympia-Dach in München 1972 stammten aus der Entwicklungslinie des 1964 gegründeten Instituts.
Mit Günter Behnisch, in Dresden geboren und ebenfalls eine Zeitlang in Chemnitz lebend, und dessen Architekturbüro sowie weiteren Architekten verwirklichte Frei Otto von 1968 bis 1972 die Überdachung des Hauptsportstättenbereiches am Olympiagelände in München. Das Olympiadach (im Volksmund auch als Olympia-Zeltdach bekannt) überspannt die Olympia-Schwimmhalle, die Olympiahalle und Teile des Olympiastadions sowie die Zwischenwege der Sportstätten.
Die 72.800 Quadratmeter große Dachlandschaft wurde für die Olympischen Spiele 1972 errichtet. Sie besteht aus Seilnetzen, die an bis zu 80 Meter hohen Pylonen aufgehängt und mit Acrylglas-Platten verkleidet sind. Die Architektur fand internationale Anerkennung, zählt zu den Wahrzeichen Münchens und steht unter Denkmalschutz.
Frei Otto, Pink Floyd und die Ökohäuser im Berliner Tiergarten
Für alle musikbegeisterten Pink Floyd-Fans ist es bestimmt eine spannende Tatsache, dass Frei Otto für die Konzerttournee 1977 gemeinsam mit B. Rasch und dem Büro Happold die überdimensionalen, riesigen, transportablen Schirme für die Bühnenshow entwarf. Die Band wünschte sich ein ungewöhnliches Bühnendach für die damals bevorstehende Konzert-Tournee. Der Auftrag ging an Frei Otto.
Zur Internationalen Bauausstellung (IBA) 1987 entstanden die Ökohäuser von Frei Otto im südlichen Berliner Tiergarten auf der Grundlage der „Baumhaus-Idee“. Die Idee von Frei Otto war es, dass die Bewohner:innen ihre individuellen ein- oder zweigeschossigen Häuser selbst bauen und dabei von erfahrenen Öko-Architekt:innen, Landschafts- und Gartenarchitekt:innen und Energieingenieur:innen beraten werden.
Pritzker-Preisträger
Frei Otto prägte die deutsche Architekturszene nachhaltig. Seine einzigartigen Bauten sind legendär und machten ihn international berühmt. Der Tanzbrunnen im Kölner Rheinpark, der Deutsche Pavillon in Montreal zur Expo 1967 sowie der Japanische Pavillon zur Expo 2000 in Hannover zählen zu seinen bekanntesten Projekten. Den Japanischen Pavillon entwarf Otto gemeinsam mit dem japanischen Architekten Shigeru Ban. Shigeru Ban erhielt 2014 den Pritzker-Preis, den „Architektur-Oscar“ oder gar „Architekturnobelpreis“. Ein Jahr später wurde Frei Otto – posthum – mit dem Pritzker-Preis geehrt, den er nach Gottfried Böhm (1986) als zweiter deutscher Architekt erhielt. Frei Otto starb 2015 kurz vor seinem 90. Geburtstag in seinem Haus in Warmbronn, einem Ortsteil von Leonberg in Baden-Württemberg.
„Eine Inspiration“ nannte Lord Norman Foster den großen Pionier der Leichtbauweise. Frei Otto erforschte die Grundlagen zu ressourcenschonendem und energieeffizientem Bauen lange bevor diese Themen in den Fokus der breiten Öffentlichkeit rückten. Er wies dem Bauwesen neue Wege, indem er die Nutzer in die Bauplanung einbezog und die klimatischen und örtlichen Gegebenheiten berücksichtigte.
100. Geburtstag von Frei Otto und das Kulturhauptstadt-Jahr 2025: Chemnitz und die Kulturregion
Im Kulturhauptstadt-Jahr 2025 ist der 100. Geburtstag von Frei Otto. Der 100. Geburtstag könnte Anlass sein, die Ideen und Entwürfe von Frei Otto für ein Pop-Up-Format im öffentlichen Raum neu zu interpretieren. Eine wohl einmalige Chance!
Büro für Städtebau GmbH Chemnitz | Silke Hennig (Text)